Im Jahre 1911 erfolgte die Inbetriebnahme des Portlandzementwerks in Granau bei Nietleben. Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte begann im Betrieb mit der Inbetriebnahme. Bereits in den ersten Jahren arbeiteten hier 50 ruthenische Arbeitskräfte (1911) sowie 11 Arbeiter aus Russland und Russisch-Polen. Dieser Einsatz ging zurück auf erfolgreiche Anwerbung, die in den Nachbarstaaten des Deutschen Reiches für eine Arbeit in Deutschland gemacht wurde und die nicht nur Arbeitskräfte in die Landwirtschaft, sondern auch in die Industrie zog. Im Jahre 1917 kamen außerdem kriegsbedingt neben den 30 russisch-polnischen Arbeitskräften 27 belgische Zivilgefangene zum Einsatz.

Aufschlussreich sind die Dokumente aus den dreißiger bzw. vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Einsatz von Zwangsarbeitern in der Zementfabrik, die dem Nietlebener Heimatverein vorliegen. Für das Jahr 1940 wurden bei einer Gesamtbelegschaft von 160 Personen 17 französische Kriegsgefangene in einer Statistik erwähnt. Diese Zahl pendelte zwischen 26 (1941), 27(1942) und 16 (1943).

Im Jahresbericht über das Geschäftsjahr 1940 heißt es dazu: „Am 6. Juli erhielten wir 17 Gefangene, die im Steinbruch, Kesselhaus und bei Hilfsarbeiten in der Tagschicht beschäftigt wurden, da sie wegen der Überwachung nicht im durchgehenden Schichtenbetrieb eingesetzt werden durften.“

Da immer mehr deutsche Arbeitskräfte zum Militärdienst eingezogen wurden, wurden die Arbeitsplätze zur Aufrechterhaltung der Produktion von ausländischen Arbeitern besetzt. Zum Einsatz kamen Zivilarbeiter und Kriegsge-fangene: „Schwierigkeiten durch Mangel an Fachkräften traten nicht auf, da es uns gelang, am 10.8.41 weitere 8 französische Kriegsgefangene zu erhalten, die zum Teil als Helfer im Reparaturbetrieb und auch an den Maschinen eingesetzt werden konnten.“ (Jahresbericht 1941)

Ab 1942 wurden Zivilarbeiter aus Polen und ab 1943 auch Zivilarbeiter aus Frankreich erwähnt. Im Jahre 1943 betrug die deutsche Belegschaft noch 76 Arbeiter, 17 Angestellte und 6 Lehrlinge. Hinzu kamen 16 französische KG, 12 Zivilarbeiter aus Frankreich und 12 aus Polen, sodass sich eine Gesamtpersonalstärke von 140 ergab.

Für das Jahr 1943 existieren auch Namenslisten der eingesetzten Arbeitskräfte. In einer Aufstellung vom 23.September 1943 wurden namentlich benannt: 17 französische Kriegsgefangene, 11 französische Zivilarbeiter (übergeführte Kriegsgefangene), 2 französische Zivilarbeiter, 2 belgische Zivilarbeiter, 13 polnische Zivilarbeiter sowie ein serbischer Kriegsgefangener.

Im Jahre 1944 zählte die Fabrik 152 Beschäftigte, von denen 56 aus dem Ausland (Frankreich, Polen, Serbien) stammten. Das ist immerhin ein Anteil von 36,8 Prozent. Der Einsatz der einzelnen Arbeiter ist durch die genaue Aufgliederung in Tätigkeitsbereiche gut erkennbar:

Die französischen Zwangsarbeiter wurden zu speziellen Arbeiten im Steinbruch, bei der Koks- und Kohlenaufbereitung sowie Verladung eingesetzt. Die serbischen Kriegsgefangenen mussten im Hof der Zementfabrik, im Steinbruch, in der Werkstatt, im Labor sowie im Kraftwerk verschiedenste Tätigkeiten ausüben. Die polnischen Kriegsgefangenen wurden im Steinbruch zu schwersten körperlichen Arbeiten herangezogen. Untergebracht waren diese Arbeitskräfte im Steinbruch sowie in der Zementfabrik in gesonderten Baracken. Hier wird deutlich, wie unter-schiedlich die Arbeitskräfte aus den verschiedenen Ländern behandelt wurden. Die Polen wurden in der Regel unmenschlich behandelt, während man den Arbeitskräften aus westlichen Ländern – zumindest zeitweise – eine bevorzugte Behandlung zukommen ließ. Das war jedoch auch abhängig von dem eingesetzten Wachpersonal.

Der Einsatz von Zwangsarbeitern in Betrieben und auf Bauernhöfen zwischen 1939 und 1945 wurde von einer Arbeitsgruppe des Nietlebener Heimatvereins in den Jahren 2009 / 2010 untersucht und durch das Auffinden neuer Dokumente in den letzten zwei Jahren aktualisiert. Für weitere Hinweise und Ergänzungen sind wir dankbar.

Nachdem dazu bereits im Mai 2016 ein interner Vortrag erfolgte, wollen wir die Ergebnisse unserer Forschungen
am 19. Januar 2017, 18 Uhr, im Stadtmuseum Halle (Christian-Wolff-Haus; Große Märkerstraße 10)
einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Alle Interessenten sind dazu herzlich eingeladen!     
M.D.