Über 120 Jahre Eisenbahngeschichte in Nietleben (03/2017)

Es ist schon nicht so einfach, einen Bogen zu spannen von der Eröffnung der HHE im Jahre 1896 bis in die heutigen Tage.

Historisches zur HHE

Offiziell wurde die Halle-Hettstedter Eisenbahn am 30. Mai 1896 durch eine Eröffnungsfeier in Halle eingeweiht. Kurz darauf dampfte ein festlich geschmückter Personenzug, mit zahlreicher Prominenz besetzt, vom Bahnhof Klaustor nach Hettstedt. Von Anbeginn an spielten sowohl der Personenverkehr, als auch der Güterverkehr auf dieser Strecke eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Region.
Die neue Eisenbahnlinie erstreckte sich über eine Länge von knapp 45 km. Ihren Ausgangspunkt bildete der Bahnhof Halle (Saale) Klaustor in der Mansfelder Straße (heute Parkplatz des ehemaligen Karstadt-Kaufhauses).
Unmittelbar nach Verlassen des Bahnhofs Halle-Klaustor passierten die Züge in rascher Folge vier Brücken von insgesamt 500 Metern Länge. Sie überspannten vier Arme der Saale und ihres Überschwemmungsgebiets.
Bald erreichten sie den Bahnhof der damals noch eigenständigen Gemeinde Nietleben (später Halle West, heute Halle – OT Nietleben). Das damals errichtete dreigeschossige Empfangsgebäude ist noch erhalten, ist aber ungenutzt und fristet ein recht unansehnliches Dasein.
Für unser Nietleben und seine wirtschaftliche Entwicklung war diese Verkehrsverbindung ein wichtiger Faktor. Allein sieben Betriebe nutzten eigene Bahnschlüsse an die HHE.
Beginnend in den 1960er Jahren begann dann auf der Strecke ein Ende auf Raten, dass mit der Einstellung des Betriebes im Jahr 2002 endete. Der Betrieb wurde in diesem Jahr auf den letzten beiden verbliebenen Abschnitten der Strecke – S-Bahn nach Dölau und Hettstedt-Gerbstedt eingestellt. Zur Geschichte der HHE hat der „Verein der Freunde der HHE e.V.“ in diesem Jahr eine 68-seitige Broschüre veröffentlicht. Interessenten können diese gern über den Verein erwerben.

Wiedereröffnung des ersten Streckenabschnitts der Halle- Hettstedter Eisenbahn

Am 28. April 2017 war es endlich so weit: Nach 10 Jahren engagierter Vereinsarbeit und fünf Gerichtsprozessen, die sämtlich zu Gunsten der Reaktivierung der Eisenbahnstrecke entschieden wurden, konnte der erste Streckenabschnitt, Heidebahnhof – Bf Halle-Dölau, wiedereröffnet werden. Gegen 10.30 Uhr schnitten der Minister für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt Thomas Webel, der Geschäftsführer des betreibenden Eisenbahninfrastrukturunternehmens Gerhard Curth und Olaf Raabe das Band durch und gaben somit diesen Abschnitt für den Eisenbahnbetrieb frei.
Im Anschluss daran bot der Verein Führerstandmitfahrten mit seinem Baufahrzeug SKL 25 an. Im Führerhaus finden neben Lokführer und Beimann fünf Reisende Platz. Die Fahrt begann im Heidebahnhof, führte bis zum Bf Halle-Dölau und ohne Aus- bzw. Zustieg wieder zurück zum Heidebahnhof. Selbstverständlich erhielt jeder Reisende eine Pappfahrkarte nach historischem HHE-Vorbild. An den ersten vier Fahrtagen vom 28. April bis 1. Mai konnten ca. 500 Fahrkarten verkauft werden. Dies zeigt, welch großes Interesse der Wiederaufnahme eines Eisenbahnbetriebes entgegengebracht wird. Weitere Fahrten wurden über das Pfingstwochenende durchgeführt. Im Rahmen des Heidefest gab es zusätzlich einen Minibus-Shuttleverkehr zwischen dem Gemeindeamt in Lieskau und dem Heidebahnhof. Für dieses Jahr sind noch weitere Fahrtage geplant.

Mit der Fertigstellung des Bauabschnittes zwischen Heidebahnhof und dem Bf. Dölau beginnen jetzt die Arbeiten an der Strecke zwischen Heidebahnhofund dem Bahnhof Nietleben. Ziel ist es hier, einen Fahrbetrieb ab 2018 aufzunehmen. In der Folgezeit wird dann die Verbindung nach Lieskau wieder aufgebaut. Zwischen Nietleben und Lieskau soll dann als Museumsbahn ein Dieseltriebwagen des Vereins zum Einsatz kommen. F.S.

Im Februar 2007 wurde der Verein „Freunde der Halle-Hettstedter Eisenbahn eV“ im Kirchgemeindehaus in Lieskau mit dem Ziel gegründet, die Strecke etappenweise für einen Museums- und Ausflugsverkehr im Rahmen einer Kulturraumvernetzung zu reaktivieren.
Aktuelles über den Verein kann unter der Internetadresse http://www.hhe.de verfolgt

Vor 20 Jahren in Nietleben – Bildung der Arbeitsgruppe „Chronik Nietleben“ (02/2017)

Am 26. Februar 1997 trafen sich im Heidecafé Nietleben 21 interessierte Bürger, um die Arbeitsgruppe „Chronik“ – später auch „Heimatgeschichte Nietleben“ genannt- ins Leben zu rufen. Anfangs unter der Leitung von Dr. Renate Ender wurde diskutiert, wie man am besten die wechselvolle Vergangenheit des Dorfes Nietleben, das bis 1950 zum Saalkreis gehörte, erforschen kann. Die vorhandenen umfangreichen Materialsammlungen von Heimatforschern wie Siegmar Baron von Schultze-Galléra (1865 – 1945) und Prof. Dr. Erich Neuß (1899-1982) sollten dabei berücksichtigt und ergänzt werden.
Schon am Anfang kristallisierten sich Schwerpunktthemen heraus, wie beispielsweise: Persönlichkeiten des Ortes, der Bergbau in und um Nietleben, die Königliche Heil- und Pflegeanstalt, die Kirchen in Nietleben, die Entwicklung der Landwirtschaft, alte Bräuche im Dorfalltag. Bereits auf der zweiten Zusammenkunft wurden die Möglichkeiten einer engen Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Passendorf besprochen.
Es zeigte sich schnell, dass die Arbeitsgruppe auch auf aktuelle Entwicklungen vor Ort reagieren musste. So schrieben die Mitglieder am 24.September 1997 einen Brief an die Stadtverwaltung, um die Schließung der Zweigstelle Nietleben der Stadtbibliothek Halle, die es seit 1967 in der Eislebener Straße gab, zu verhindern. Wenn auch dieser Vorstoß nicht zum Erfolg führte, so trugen die monatlichen Treffen dazu bei, sich regelmäßig auch mit Themen der Lokalpolitik zu befassen. Die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung spielte eine zunehmende Rolle- die weitere Zukunft der Schule in Nietleben, Fragen von Ordnung und Sauberkeit standen dabei anfangs im Zentrum der Bemühungen.
Nachdem ab 1999 die Mitglieder der Arbeitsgruppe die Möglichkeit der Umwandlung in einen Verein erörtert hatten, wurde schließlich am 24.11.1999 der Nietlebener Heimatverein e.V. mit insgesamt 14 Mitgliedern gegründet. Zum Vorsitzenden wählten die Anwesenden den ehemaligen Chemiker und Freizeit-Historiker Dieter Schermaul. Zum Ehrenmitglied wurde Frau Dr. Elisabeth Schwarze-Neuß ernannt.
Seit 20 Jahren erforschen die Hobbyhistoriker die Nietlebener Geschichte mit großem Engagement. Dr. Erdmann Neuß, Eckart Grohmann, Frank Fischer, Ines Menzel und Manfred Drobny als Gründungsmitglieder der Arbeitsgruppe sind heute noch aktiv im Heimatverein tätig. Im Laufe der Jahre entstand eine wertvolle Materialsammlung, die durch die Mithilfe zahlreicher Nietlebener Bürger und in Zusammenarbeit mit anderen Vereinen eine ständige Erweiterung erfährt. Die Ergebnisse dieser Arbeit auch den Anwohnern nahezubringen, war und ist Anliegen heimatkundlicher Wanderungen und Vorträge sowie zahlreicher Veranstaltungen im Heidebad Nietleben. Der jährlich erscheinende Heimatkalender, Faltblätter zu einzelnen Themen sowie „Nietlebens Neuer Heide-Bote“ tragen ebenfalls dazu bei. Unter Leitung von Andreas Leopold, im März 2014 zum neuen Vorsitzenden des Heimatvereins gewählt, werden diese vielfältigen Aktivitäten von den Vereinsmitgliedern fortgeführt und weiterentwickelt. M.D.

Ausländische Arbeitskräfte und Zwangsarbeiter im Zementwerk Nietleben (01/2017)

Im Jahre 1911 erfolgte die Inbetriebnahme des Portlandzementwerks in Granau bei Nietleben. Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte begann im Betrieb mit der Inbetriebnahme. Bereits in den ersten Jahren arbeiteten hier 50 ruthenische Arbeitskräfte (1911) sowie 11 Arbeiter aus Russland und Russisch-Polen. Dieser Einsatz ging zurück auf erfolgreiche Anwerbung, die in den Nachbarstaaten des Deutschen Reiches für eine Arbeit in Deutschland gemacht wurde und die nicht nur Arbeitskräfte in die Landwirtschaft, sondern auch in die Industrie zog. Im Jahre 1917 kamen außerdem kriegsbedingt neben den 30 russisch-polnischen Arbeitskräften 27 belgische Zivilgefangene zum Einsatz.

Aufschlussreich sind die Dokumente aus den dreißiger bzw. vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Einsatz von Zwangsarbeitern in der Zementfabrik, die dem Nietlebener Heimatverein vorliegen. Für das Jahr 1940 wurden bei einer Gesamtbelegschaft von 160 Personen 17 französische Kriegsgefangene in einer Statistik erwähnt. Diese Zahl pendelte zwischen 26 (1941), 27(1942) und 16 (1943).

Im Jahresbericht über das Geschäftsjahr 1940 heißt es dazu: „Am 6. Juli erhielten wir 17 Gefangene, die im Steinbruch, Kesselhaus und bei Hilfsarbeiten in der Tagschicht beschäftigt wurden, da sie wegen der Überwachung nicht im durchgehenden Schichtenbetrieb eingesetzt werden durften.“

Da immer mehr deutsche Arbeitskräfte zum Militärdienst eingezogen wurden, wurden die Arbeitsplätze zur Aufrechterhaltung der Produktion von ausländischen Arbeitern besetzt. Zum Einsatz kamen Zivilarbeiter und Kriegsge-fangene: „Schwierigkeiten durch Mangel an Fachkräften traten nicht auf, da es uns gelang, am 10.8.41 weitere 8 französische Kriegsgefangene zu erhalten, die zum Teil als Helfer im Reparaturbetrieb und auch an den Maschinen eingesetzt werden konnten.“ (Jahresbericht 1941)

Ab 1942 wurden Zivilarbeiter aus Polen und ab 1943 auch Zivilarbeiter aus Frankreich erwähnt. Im Jahre 1943 betrug die deutsche Belegschaft noch 76 Arbeiter, 17 Angestellte und 6 Lehrlinge. Hinzu kamen 16 französische KG, 12 Zivilarbeiter aus Frankreich und 12 aus Polen, sodass sich eine Gesamtpersonalstärke von 140 ergab.

Für das Jahr 1943 existieren auch Namenslisten der eingesetzten Arbeitskräfte. In einer Aufstellung vom 23.September 1943 wurden namentlich benannt: 17 französische Kriegsgefangene, 11 französische Zivilarbeiter (übergeführte Kriegsgefangene), 2 französische Zivilarbeiter, 2 belgische Zivilarbeiter, 13 polnische Zivilarbeiter sowie ein serbischer Kriegsgefangener.

Im Jahre 1944 zählte die Fabrik 152 Beschäftigte, von denen 56 aus dem Ausland (Frankreich, Polen, Serbien) stammten. Das ist immerhin ein Anteil von 36,8 Prozent. Der Einsatz der einzelnen Arbeiter ist durch die genaue Aufgliederung in Tätigkeitsbereiche gut erkennbar:

Die französischen Zwangsarbeiter wurden zu speziellen Arbeiten im Steinbruch, bei der Koks- und Kohlenaufbereitung sowie Verladung eingesetzt. Die serbischen Kriegsgefangenen mussten im Hof der Zementfabrik, im Steinbruch, in der Werkstatt, im Labor sowie im Kraftwerk verschiedenste Tätigkeiten ausüben. Die polnischen Kriegsgefangenen wurden im Steinbruch zu schwersten körperlichen Arbeiten herangezogen. Untergebracht waren diese Arbeitskräfte im Steinbruch sowie in der Zementfabrik in gesonderten Baracken. Hier wird deutlich, wie unter-schiedlich die Arbeitskräfte aus den verschiedenen Ländern behandelt wurden. Die Polen wurden in der Regel unmenschlich behandelt, während man den Arbeitskräften aus westlichen Ländern – zumindest zeitweise – eine bevorzugte Behandlung zukommen ließ. Das war jedoch auch abhängig von dem eingesetzten Wachpersonal.

Der Einsatz von Zwangsarbeitern in Betrieben und auf Bauernhöfen zwischen 1939 und 1945 wurde von einer Arbeitsgruppe des Nietlebener Heimatvereins in den Jahren 2009 / 2010 untersucht und durch das Auffinden neuer Dokumente in den letzten zwei Jahren aktualisiert. Für weitere Hinweise und Ergänzungen sind wir dankbar.

Nachdem dazu bereits im Mai 2016 ein interner Vortrag erfolgte, wollen wir die Ergebnisse unserer Forschungen
am 19. Januar 2017, 18 Uhr, im Stadtmuseum Halle (Christian-Wolff-Haus; Große Märkerstraße 10)
einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Alle Interessenten sind dazu herzlich eingeladen!     
M.D.